Der heiße Pitch-Herbst: Eine Checkliste für Agenturen zum Nein sagen

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Wenn der Rennfahrer Zweiter wird, sammelt er Punkte. Wenn die Agentur Zweite wird, verliert sie Geld. Der Unterschied? Agenturen können entscheiden, welche Rennen sie überhaupt fahren. In dieser Ausgabe ihrer New-Biz-Kolumne thematisieren Pitch-Beraterin Antonia Milczarek und Neugeschäftsprofi Jan Paul Schwarz die Kunst des Nein-Sagens: Wie Agenturen im heißen Pitch-Herbst mit Fokus statt FOMO die richtigen Chancen erkennen – und sich mit einer klaren Strategie vor dem Crash schützen. 

Exklusive Kolumne in der campaign Germany von Antonia Milczarek und Jan Paul Schwarz | 5. November 2025 um 07:00

Jean-Remy von Matt beschreibt in seinem Buch “Am Ende” den Unterschied zwischen einem Rennfahrer und Agenturgründer treffend: „Wird der Rennfahrer bei jedem Grand Prix Zweiter, ist er am Jahresende höchstwahrscheinlich Weltmeister. Wird der Gründer bei jedem Wettbewerb Zweiter, ist er am Jahresende höchstwahrscheinlich pleite.“ Was er dabei aber nicht erwähnt: Im Gegensatz zum Rennfahrer können Agenturen entscheiden, welche Rennen sie fahren. 

Und weil sich zum Jahresendspurt die Pitch-Anfragen in den Inboxen-Gassen der Agenturen stapeln, beschäftigen wir uns in dieser Ausgabe damit, wie Agenturen mit einer klaren Strategie und einem individuellen Filter die für sie richtigen Pitch-Opportunities identifizieren. Es braucht Fokus statt Fomo. Wer reflexartig jede Gelegenheit mitnimmt, riskiert, dass am Ende mehr verloren geht als gewonnen wird. Deshalb stellen wir uns die Frage: Wie treffen wir strategisch die Entscheidung, ob sich ein Pitch lohnt? Und welche Kriterien helfen, bevor der Puls steigt und die Quote sinkt. 

Pitches und Kundengeschäft spitzen sich zu

Warum im Herbst alles zusammenkommt: Nach dem Sommer starten Marketing-Teams in die Detailplanung fürs Folgejahr. Konsumpeaks bringen Briefings auf den Plan: Black Friday, Cyber Week, Weihnachten. Budgetreste müssen aufgebraucht werden – sonst schrumpft der Topf für nächstes Jahr. Ab Januar wird’s ruhiger. Im April und Mai wieder volles Rohr. Der Rhythmus ist absehbar – und trotzdem geraten viele ins Schleudern.

Denn: Pitches kosten Zeit, Geld, Reputation, Nerven. Und den wichtigsten Engpass überhaupt – Talente. Deswegen braucht es eine Entscheidungshilfe.

Drei Faktoren entscheiden, ob ein Pitch Sinn ergibt: 

  1. Kreation: Hat der Etat kreatives Potenzial?
  2. Kultur: Passen Kunde, Agentur, Prozesse und Haltung zusammen?
  3. Kasse: Lohnt sich das Ganze wirtschaftlich?

Der 10-Minuten-Boxen-Check für Kreativagenturen 

Um bewerten zu können, welche Pitches die richtigen sind – und welche nicht –, stellen wir einige Bewertungsfragen zusammen, die sich nach dem Checklistenprinzip im Erstgespräch mit potenziellen Kunden abarbeiten lassen. 

1. Kreation

Die erste Frage: Hat der Etat kreatives Potenzial? Klar, ein direkter Vergleich zwischen dem alten Output und dem neuen Briefing liefert erste Hinweise. Aber oft lohnt es sich, auch zwischen den Zeilen zu lesen: Will die Kundin oder der Kunde mit der neuen Arbeit wirklich etwas bewegen – oder geht es nur um einen günstigeren Einkauf?

Neuer CMO oder schlechte Business-KPIs sind auch oft Hinweise auf Veränderungswillen – und damit auf kreativen Spielraum. Denn oft entstehen die besten Ideen nicht beim Marktführer. Sie entstehen bei Marken, die sich etwas trauen (müssen) – die Challenger, die vor der Kurve erst später auf die Bremse treten. 

Kommt im Erstgespräch keine Klarheit auf? Ein Chemistry-Meeting mit allen Entscheiderinnen und Entscheidern hilft. Fehlt die Bereitschaft zum Chemistry-Meeting, ist das kein gutes Zeichen – auch für den kulturellen Fit.

Checkfragen zur Kreation:

  • Briefing: Evolution, Disruption oder Stagnation?
  • Warum wird gewechselt? Neue/r CMO? Wettbewerbsdruck? Schwindende Marktanteile? 
  • Wer hat die Marke bisher betreut?
  • Wie sahen die bisherigen Arbeiten aus?
  • Passt die Aufgabe zu den eigenen Kompetenzen, Erfahrungen und Ressourcen?
2. Kultur

Das Thema Kultur ist ein sehr individuelles – jede Agentur hat ihre eigene DNA, ihre Prozesse und Haltung. Ob das mit einem Kunden zusammenpasst, entscheidet nicht nur das Bauchgefühl, sondern überprüfbare Rahmenbedingungen.
Wie viele Agenturen sind zum Pitch eingeladen? Mehr als vier? Red Flag. 

Lernt man die finalen Entscheider:innen im Prozess kennen oder werden sie (Achtung – noch eine Red Flag) erst zur finalen Präsentation oder noch später zum Prozess geholt? 

Warum wird jetzt eine neue Agentur gesucht? Hat in der Zusammenarbeit etwas nicht geklappt? Woran lag’s? Das legt den Finger manchmal unangenehm tief in die Wunde. Aber Agenturen sind Problemlöser. Und ohne das Problem zu kennen, lässt es sich nicht lösen. 

Und auch beim Timing lohnt sich der genaue Blick: Ist der Zeitplan zu eng, kann das beste Team womöglich gar nicht aufgestellt werden – und die besten Ideen bleiben auf der Strecke. 

Checkfragen zur Kultur:

  • Wie ist man auf die Agentur aufmerksam geworden? (Empfehlung, Cases, Zusammenarbeit)
  • Ist das Problem im Briefing klar formuliert?
  • Sind die Entscheider:innen früh eingebunden?
  • Gibt es die Möglichkeit auf Austausch im Prozess?
  • Ist das Timing realistisch?
3. Kasse

Dieser Tage ist das Kundenbudget bei vielen Agenturen das wichtigste Entscheidungskriterium, ob man am Pitch teilnimmt oder nicht.  Trotzdem sollte man nicht alles an der ersten Zahl festmachen. Denn oft ist das Projektgeschäft der berühmte Fuß in der Tür. Gerade in den konzern-großen Unternehmen spricht sich eine gute Arbeit herum, man wird schnell weiterempfohlen und hat die Chance – auch ohne Pitch – an andere Marken und Märkte zu kommen. Insofern bietet es sich auch bei kleineren Budgets manchmal an, trotzdem am Pitch teilzunehmen. Gerade dann sollte das zu gewinnende Budget aber eindeutig ausgewiesen sein. 

Kritisch wird es, wenn Kundinnen und Kunden keine Budgetzahlen nennen. Ohne kaufmännische Leitplanken kann niemand vernünftig planen – und erst recht kein überzeugendes Konzept entwickeln. Noch problematischer ist ein joviales „Wenn uns die Idee gefällt, machen wir das Geld schon frei“. Klingt vielversprechend, ist aber oft ein Zeichen, dass es keinen klaren Plan gibt. Und vielleicht auch kein verbindliches Mandat.

Mindestens ein grober Ballpark sollte benannt werden. Oder ein klares Gesamtbudget, aus dem sich der Kreativanteil ableiten lässt. Wenn beides fehlt: Vorsicht. 

Auch wichtig: Gibt’s eine Pitch Fee? Denn die ist nicht immer eine Selbstverständlichkeit. Wir finden: Sollte sie aber sein. Eine Pitchfee ist mehr als nur eine symbolische Geste – sie zeigt Wertschätzung und hält das Teilnehmerfeld überschaubar. Denn wer Pitch Fees zahlt, kann auch nur eine Handvoll Agenturen einladen – sonst wird’s teuer. 

Checkfragen zur Kasse:

  • Budget transparent? (Fee / Produktion / Media etc.)
  • Gibt’s einen Ballpark?
  • Strategisches Potenzial für Folgeprojekte?
  • Pitch Fee vorgesehen?
Podium oder Panne? Das Fazit

Nicht jeder Pitch lohnt sich. Nicht jede Anfrage ist wirklich eine Opportunity.  Gerade jetzt im heißen Pitch-Herbst ist ein “Nein” oft viel wert: Nein zu schlechten Briefings. Nein zu unrealistischen Timings. Nein zu Pitches ohne Budgetrahmen oder Pitch Fee. Nein zu Prozessen, die keinen Respekt zeigen. Denn jedes Ja zu einer mittelmäßigen Gelegenheit kann ein Nein zu einer besseren gewesen sein.

Also: Haltung zeigen, Kriterien anlegen und mit der eigenen Bewertungsmatrix an der Hand sich leichter tun, abzusagen, wenn das Setup nicht stimmt. Wer mit klarem Kopf und gutem Bauchgefühl entscheidet, ist nicht nur entspannter – sondern am Ende auch erfolgreicher.

Das vollständige Interview ist bei Campaign erschienen.
Hier geht’s zum Artikel

Hinweis: Die Kolumne wurde exklusiv für Campaign erstellt. Mit etwas zeitlichem Abstand dürfen wir den Text selbst veröffentlichen.

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