Die 200-Millionen-Euro-Ausschreibung der Deutschen Bahn – mitmachen oder lassen?

"

Neugeschäft ist bei vielen Agenturen zum wichtigsten Thema geworden. Gleichzeitig wird das Wachstum durch Business auf neuen Kunden zunehmend schwieriger. In der neuen New-Biz-Kolumne von Campaign Germany analysieren Pitch-Beraterin Antonia Milczarek und Neugeschäftsprofi Jan Paul Schwarz aktuelle Ausschreibungen und geben Tipps für Neugeschäft. 

Exklusive Kolumne in der campaign Germany von Antonia Milczarek und Jan Paul Schwarz | 8. Oktober 2025 um 19:04 Uhr

Etats sind fragmentierter, die Auswahlprozesse wilder und willkürlicher. Worum man pitcht, wird bei Einladungen – wenn überhaupt – oft nur als grober Ballpark angegeben. Aus Sicht der Neugeschäftsverantwortlichen sehnt man sich nach geordneten Selektionsverfahren – mit transparenten Prozessen, bei denen man genau weiß, was es zu gewinnen gibt und dass der Etat nach der Präsentation auch wirklich an eine der mitpitchenden Agenturen vergeben wird.

Und da ist sie: die 200-Millionen-Euro-Ausschreibung der Deutschen Bahn. Mit einem Auswahlprozess, der das alles mit sich bringt. Einem Timing, das langfristig planbar ist. Und einem Ausnahmebudget, bei dem Agentur-Teams in zweistelliger Größenordnung für Jahre gesichert sind.

Bekommt man eine Pitch-Einladung, hat man bei vier bis fünf teilnehmenden Agenturen rechnerische Gewinnchancen von 20 bis 25 Prozent. Und wenn man nicht eingeladen wird, ist nicht viel verloren. 5er-Teams samt Management mussten nicht für Chemistry-Meetings reisekostenintensiv durch die Republik gekarrt werden. Außerdem hat man endlich die aktuellen Agentur-Cases wieder aufbereitet – samt frisch poliertem Leistungsschaufenster, das man proaktiv anderen Großkunden schicken kann.

Diese Ausschreibung ist aber nichts für jede Agentur. Das zeigt sich schon beim Blick in den Kriterienkatalog. Die Bahn hat die Weichen so gestellt, dass nur Dienstleister mit entsprechender Größe, Erfahrung und moderner Aufstellung überhaupt ins Rennen kommen. Wer die Anforderungen auf den ersten Blick abhaken kann, sollte jetzt zügig den internen Prozess starten: Vorgaben analysieren, Aufgaben verteilen, Dokumente aufbereiten. Mit einem strukturierten Fahrplan hat man eine echte Chance.

Schritt 1: Unterlagen gründlich lesen

Die Ausschreibung ist in vier Lose aufgeteilt. Man kann sich entweder auf ein einzelnes Los bewerben oder mehrere kombinieren. Los 1: Markenkommunikation, Los 2: Produktkommunikation, Los 3 Social Media und Always-on, Los 4: PR. 
Formal handelt es sich um ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb. Heißt: Aktuell befinden wir uns im „RFI“. Jetzt zählt die Erfahrung – nicht die Idee. Wer weiterkommt, wird zur Angebotsphase eingeladen. Dann folgen Präsentation, Verhandlung, finales Angebot. 

Schritt 2: Referenzen zuordnen

Wer keine passenden Projekte für das gewünschte Los mitbringt, spart sich den Aufwand besser gleich. Das klingt hart – aber es bringt nichts, mit ungeeigneten Cases auf gut Glück loszulegen. Denn: Die Bewertungskriterien greifen tief – von Strategie bis Umsetzung, von KPIs bis Lessons Learned. Die Anforderungen sind nicht nur hoch, sondern sehr genau definiert. In den Unterlagen wird klar vorgegeben, wie viele Seiten pro Referenz erlaubt sind – zum Beispiel vier, nicht zwölf. Das klingt banal, ist aber entscheidend: Wer zu viel schreibt, riskiert Punktabzug. Also: Vorgaben lesen, Formatvorgaben einhalten, Seitenzahlen respektieren. 

Schritt 3: Lokführer:in definieren

Es braucht einen guten Plan und sauberes Projektmanagement. Und die richtigen Leute – die wissen, worauf es ankommt, wo alte Konzepte liegen, wer welche Projekte betreut hat und woher man Assetlisten oder Kampagneninfos bekommt. Wichtig ist auch: Die verantwortliche Person sollte sofort ausreichend Kapazitäten eingeplant bekommen. Denn das Dokument für die DB macht man nicht nebenbei. Es braucht Fokus, Verfügbarkeit – und den Freiraum, um sich wirklich reinzudenken. 

Schritt 4: Choose your Battle

Viele Agenturen zieht es auf Los 1 – logisch, das ist der klassische Kreativ-Etat, mit großem Prestige und Raum für die Big Idea. Gerade deshalb lohnt sich der Blick auf Los 2. Wer die Anforderungen für Los 2 erfüllt, hat nicht nur gute Chancen – sondern auch die Gelegenheit, mit etwas weniger Konkurrenz das Rennen zu machen. 

Schritt 5: Den Fahrplan einhalten

Die Präsentation sollte direkt entlang der Bewertungsmatrix aufgebaut sein – heißt: Die Überschriften müssen exakt den Vorgaben der Bahn entsprechen. Alle formalen Anforderungen sind einzuhalten – von Seitenzahl über Dateigröße, Dateiformat. Der Dialog über das Frageportal sollte aktiv genutzt werden, insbesondere, weil man aus den Fragen der anderen lernen kann. Denn alle Antworten werden öffentlich geteilt. Ein Probe-Upload ein paar Tage vor Abgabe, frühzeitig organisierte Unterschriften und ein klarer Zeitplan fürs ganze Team verhindern böse Überraschungen – denn wer zu spät kommt, verpasst den Zug. 

Das Fazit von Antonia und Jan Paul

Wir haben in den letzten Jahren viele Ausschreibungen gesehen – große, kleine, faire und auch absurde. Diese hier gehört zu den besseren. Klar strukturiert, mit echtem Volumen, gut durchdacht. Wer das passende Setup hat, sollte sich das genau anschauen. Nicht kopflos reinspringen – aber auch nicht aus falscher Arroganz vorbeiziehen lassen. Denn so eine Gelegenheit kommt nicht oft.

Das vollständige Interview ist bei Campaign erschienen.
Hier geht’s zum Artikel

Hinweis: Die Kolumne wurde exklusiv für Campaign erstellt. Mit etwas zeitlichem Abstand dürfen wir den Text selbst veröffentlichen.

Noch mehr Beiträge aus dem Ausschreibungsalltag

Podcast: Sales in Agenturen

In der neuen Folge des We Are Family Podcasts spricht Antonia über den Alltag mit Ausschreibungen und findet heraus, warum die Agentur so erfolgreich ist.

mehr lesen